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Im Oktober 1925 wird Locarno zum Zentrum der Weltpolitik: Vom 5. bis 16. Oktober treffen sich die Außenminister der wichtigsten europäischen Staaten am Lago Maggiore, um den Weg zu einer dauerhaften Friedensordnung in Europa zu ebnen – nach den Verwüstungen des Ersten Weltkriegs. Die Konferenz mündet in die Locarno-Verträge, die am 1. Dezember 1925 in London unterzeichnet werden. Sie gelten als ein bedeutender diplomatischer Meilenstein zur Sicherung des Friedens in Europa.

Zu den Hauptakteuren gehören Aristide Briand (Frankreich), Austen Chamberlain (Großbritannien) und Gustav Stresemann (Deutschland). Deutschland erkennt in den Verträgen seine Westgrenzen an, verpflichtet sich zur friedlichen Streitbeilegung und darf im Gegenzug 1926 der Völkerbund beitreten. Die drei Diplomaten werden später mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Während die offiziellen Gespräche im Palazzo del Pretorio in Locarno stattfinden, spielen inoffizielle Treffen an symbolischen Orten wie Ronco sopra Ascona, den Grotti von Ponte Brolla, auf dem Dampfer Fiori d’Arancio oder bei Konzerten im Kursaal eine entscheidende Rolle. Besonders eindrücklich ist die Bedeutung des Wallfahrtsorts Madonna del Sasso, wo abends das Wort PAX (Frieden) leuchtet – ein starkes Bild für den Geist von Locarno.

Die Atmosphäre ist geprägt von einem neuen Geist des Vertrauens und der Zusammenarbeit, den die Presse als „Esprit de Locarno“ bezeichnet. Auch Benito Mussolini nimmt am Ende der Konferenz teil, um die Annäherung Italiens an Frankreich und Großbritannien zu unterstreichen. Die Stadt Locarno – mit Hotels wie dem Grand Hotel (für die Alliierten) und der Esplanade in Minusio (für die deutsche Delegation) – wird zum Symbol dieses neuen europäischen Traums.

Doch dieser Frieden ist nicht von Dauer. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 schwächt die Demokratien, und der Aufstieg Hitlers zerstört das fragile Gleichgewicht. 1936 bricht Deutschland mit der Remilitarisierung des Rheinlandsoffen die Locarno-Verträge – ohne Gegenreaktion der Garantiemächte. Das ist das faktische Ende des Esprit de Locarno.

Dennoch bleibt Locarno ein historischer Wendepunkt. Die Verhandlungen von 1925 sind der ernsthafteste Versuch zur Friedenssicherung nach dem Ersten Weltkrieg. Der „Esprit de Locarno“ steht für die Hoffnung, durch Dialog, Diplomatie und gegenseitiges Vertrauen eine neue europäische Zukunft zu schaffen. Gerade heute erinnert Locarno daran, wie wertvoll der Wille zum Frieden ist – und wie zerbrechlich.

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